Martin Auer: Der seltsame Krieg, Geschichten für die Friedenserziehung

   
 

Bericht an den Rat der Vereinten Sonnensysteme

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Auf Grund unserer Beobachtungen während ungefähr 10.000 Umdrehungen des Planeten Yer müssen wir dringend davon abraten, diesen Planeten und seine Bewohner in die Vereinten Sonnensysteme aufzunehmen.

Es gibt auf Yer eine Art von Bewohnern, die sich für intelligent hält und sich während der letzten Million Umdrehungen gewaltig vermehrt und über den Planeten ausgebreitet hat, die sogenannten Nin, Menschen oder Orang. Diese Art, die ursprünglich von Baumbewohnern abstammt, hält sich zwar für intelligent, doch sind die derzeit vorhandenen sechs Milliarden Nin nicht imstande, ihre Handlungen irgendwie sinnvoll aufeinander abzustimmen. Oft zerstören die einen, was die anderen geschaffen haben, sie nehmen einander auch Nahrung und Kleidung weg. Sie erzeugen zwar Dinge, die ihnen das Leben erleichtern und verschönern sollen, aber indem sie diese Dinge erzeugen, zerstören und vergiften sie die Atmosphäre, das Wasser und die Erde ihres Planeten, und machen sich so das Leben wiederum unendlich viel schwerer. Eine der schlimmsten Plagen, unter denen sie leiden ist eine Sitte - oder sollen wir es eine Krankheit nennen? - die sie wojna, war, Krieg oder guerra nennen. Wenn eine wojna ausbricht, gehen große Gruppen von Nin aufeinander los und zerstören einander. Sie zerstören die Wohnstätten und Nahrungsmittel der „Feinde" und quälen einander aufs Schrecklichste. Unser Forscherteam hat versucht herauszufinden, warum sie das tun. Tatsächlich sind die Nin selber sich völlig uneinig in dieser Frage. Es gibt, und das ist das seltsame, sehr viele unter ihnen, die diese grausame Sitte ablehnen und als das größte Unglück betrachten, das die Ninheit befallen kann. Andere allerdings lieben wojna, erzählen davon oder sehen bewegte Bilder darüber an. Die Nin, die wojna ablehnen, haben verschiedene Anschauungen darüber, warum es dazu kommen kann. Manche halten es einfach für einen Ausbruch von Wahnsinn bei einer größeren Gruppe von Nin. Andere meinen, dass die Nin sozusagen zwei verschiedene Seelen in sich tragen, eine gute, die die anderen Nin liebt, und eine böse, die die anderen Nin hasst. Wieder andere meinen, wojna sei zwar nicht schön, aber leider hin und wieder nötig. Oft kommt es vor, dass zwei Gruppen von Nin miteinander wojna beginnen, und jede Gruppe sagt; „Ja, wir wollen diese wojna nicht, aber die anderen zwingen uns leider dazu."

Unser Forscherteam neigt zu der Ansicht, dass das Grundproblem der Nin ist, dass sie nicht imstande sind, die Handlungen von großen Gruppen miteinander in Einklang zu bringen. Sie scheinen überhaupt noch nicht begriffen zu haben, dass sie keine Einzelwesen sind, sondern miteinander und allen anderen Bewohnern des Planeten verbunden. Um den Nin begreiflich zu machen, was gemeint ist, könnte man das Beispiel von zwei Yer-Bewohnern heranziehen, die von manchen Nin Ochsen genannt werden. Spannt man zwei von diesen Ochsen vor ein Fortbewegungsmittel, das auf Yer von einigen Wagen genannt wird, und der eine Ochse zieht nach Norden, der andere aber nach Westen, so werden die beiden nach Nordwesten kommen, obwohl eigentlich keiner von den beiden dorthin wollte. Die Nin haben noch nicht begriffen, dass sie mit allen anderen sechs Milliarden Nin so verbunden sind, wie die zwei Ochsen vor dem Wagen. Nur sind ihre Handlungen viel komplizierter als das Ziehen eines Wagens, und das Ergebnis der Handlungen von sechs Milliarden auszurechnen ist natürlich schwerer, als den Weg der beiden Ochsen zu berechnen. Bis jetzt scheint es, als ob die Intelligenz der Nin dazu nicht ausreichte.

 

Es folgt nun der Bericht unseres Forscherteams über die Entstehung von wojna auf  dem Planeten Yer.

Vor vielen, vielen tausend Planetenumdrehungen, als die Nin noch vom Sammeln und Jagen in den Wäldern lebten, da kannten sie wojna noch nicht.

Die Nin lebten damals in kleinen Gruppen zusammen und  streiften durch die Wälder. So eine Gruppe bestand nur aus sechzig bis achtzig Nin, vielleicht  zehn bis fünfzehn sogenannte Familien.

Jede Gruppe hatte ein bestimmtes Jagdgebiet, das sie im Lauf eines Jahres durchwanderte, auf der Suche nach Beeren und Früchten, nach Pilzen und Wurzeln, nach Schnecken und Fröschen und natürlich nach Wild, das sie jagen konnten. In einem Gebiet, sagen wir, in einem Gebirgstal, lebten nur ganz wenige solcher Gruppen, vielleicht drei oder höchstens vier. Eine größere Menge von Leuten kann der Wald nicht ernähren. Diese Nin kannten keine Könige oder Häuptlinge, keine Gerichte, keine Polizei oder Gefängnisse, und sie hatten auch keine Gesetze. Wozu denn? Wenn einer etwas tat, was den anderen nicht passte, konnten sie sich abends am Feuer zusammensetzen und darüber reden. Wenn sie Gazellen jagen wollten, dann folgten sie ihrem besten Jäger. Aber wenn die Zeit kam, wo man den Honig der wilden Bienen finden konnte, dann folgten sie der Frau, die sich am besten mit den Bienen auskannte. Und wenn es Streit gab, dann folgten sie dem Rat der ältesten Frauen und Männer, weil die die meiste Erfahrung hatten. Die Nin hielten zusammen und teilten alles miteinander, denn anders hätten sie nicht überleben können.

Wenn eine Gruppe zu groß wurde, musste sie sich teilen, und die eine Hälfte musste woanders neue Jagdgründe suchen. Da konnte es passieren, dass sie in das Gebiet einer anderen Gruppe eindrang. Und dann, doch, dann konnte es Kampf geben. Aber so ein Kampf war schnell zu Ende. Es war vielleicht nur eine große Rauferei. Und sobald eine Gruppe die Flucht ergriff, war der Kampf zu Ende.

Solche Kämpfe waren aber eine Ausnahme und kamen nur vor, wenn eine Gruppe auswandern musste. Das kam nicht oft vor, denn bei fast allen Völkern kannten die Frauen bestimmte Kräuter, die verhinderten, dass sie Kinder bekamen. So konnten die Frauen verhindern, dass die Gruppe zu groß wurde und sich vielleicht teilen musste. Ansonsten gab es keinen Grund für Kampf. So eine Ningruppe hatte nicht den Wunsch, ihr Jagdgebiet immer größer und größer zu machen. Ein größeres Jagdgebiet hätte sie gar nicht ausnutzen können. Es hatte auch keinen Sinn, die Nachbargruppe zu überfallen und auszuplündern. Denn da gab es nichts zu plündern. Die Nin damals hatten nur sehr wenige Vorräte. Sie lebten von der Hand in den Mund und sammelten und jagten nur soviel, wie sie bald aufessen konnten.

Vor ungefähr 6000 Planetenumdrehungen änderte sich in bestimmten Gegenden, wo die Nin lebten, das Klima. Die Unterschiede zwischen trockener und feuchter Jahreszeit wurden größer, und bestimmte Pflanzen wuchsen nicht mehr. So blieben auch die Tiere aus, die von diesen Pflanzen gelebt hatten. Aber bestimmte Pflanzen, die als Samen harte Körner trugen, konnten in diesem Klima besonders gut gedeihen, und die Nin entdeckten, wie sie diese Pflanzen hegen und pflegen konnten., und dass man so auf kleinem Raum viel mehr Nahrung gewinnen konnte, als wenn man durch die Gegend streifte und nahm, was man fand. Diese Nin konnten nicht mehr herumwandern, sie legten die ersten Dörfer an und wurden Bauern. Sie behielten aber viele ihrer Jägersitten bei. So, wie sie früher gemeinsam gejagt hatten, arbeiteten sie jetzt gemeinsam auf den Äckern. Das Land gehörte niemandem - oder allen. Wenn es gemeinsame Angelegenheiten zu entscheiden gab, versammelten sich die Dorfbewohner und besprachen die Sache. Sie wählten keine Anführer, aber wenn es eine bestimmte Sache zu organisieren gab, zum Beispiel ein neues Waldstück zu roden, oder ein Gemeindehaus zu bauen, oder einen Jagdzug zu unternehmen, dann baten sie einen Mann oder eine Frau, die etwas davon verstanden, die Leitung zu übernehmen. Das war früher auch so gewesen. Die Männer gingen immer noch auf die Jagd nach dem spärlicher gewordenen Wild, und ein großer Teil der Arbeit auf den Feldern wurde von den Frauen gemacht. Aber da die wichtigste Nahrung von den Feldern kam, galt das Wort der Frauen oft mehr als das der Männer.

Das Bauernleben hatte Vorteile und Nachteile. Man war vom Getreide abhängig geworden. Als sie noch Sammlerinnen und Jäger gewesen waren, war es nicht so schlimm, wenn eine Pflanzenart in einem Jahr nicht gedieh. Es gab Hunderte andere in den Wäldern. Wenn jetzt eine Dürre kam, mussten sie hungern. Ihr Essen war auch einseitiger geworden, wenig abwechslungsreich, so dass sie schlechte Zähne bekamen und ihre Kinder kleiner blieben. Und die Arbeit war hart und eintönig, das Leben war nicht mehr so abwechslungsreich und aufregend wie früher. Doch ein Zurück gab es nicht mehr. Schon allein, weil Jäger und Sammlerinnen viel mehr Land brauchen als Bauern. 

Das Neue war, dass sie jetzt nicht mehr von der Hand in den Mund lebten. Sie konnten mehr erzeugen, als sie verbrauchten. Sie konnten einen Vorrat anlegen. Da hatten sie etwas für schlechte Zeiten, ein Sicherheitspolster, wenn es einmal eine Dürre geben sollte oder eine Überschwemmung. Und wenn die Vorräte groß genug waren, konnten sie auch etwas davon in die Zukunft investieren. Das heißt: Wenn sie genug Korn eingelagert hatten, konnten sie es sich zum Beispiel erlauben, im nächsten Jahr ein paar Äcker weniger anzubauen. Ein Teil der Leute konnte stattdessen einen Bewässerungskanal graben, so dass im übernächsten Jahr die Ernte noch reicher ausfiel und der Überschuss noch größer wurde. Dann konnten sie es sich entweder bequemer machen, oder den Überschuss wieder in etwas anderes investieren. Wenn nicht alle auf den Äckern gebraucht wurden, konnte sich eins auf das Schmieden spezialisieren und ein anderes auf das Töpfern und so weiter, und diese Künste weiterentwickeln, was wiederum in späteren Jahren die Arbeit von allen erleichterte. Genauso gut konnten sie es auch einigen gestatten, sich aufs Heilen, aufs Beten oder aufs Dichten von Liedern zu spezialisieren. Das erhöhte zwar nicht den Überschuss, aber es machte das Leben für alle angenehmer und reicher. So hielt langsam und gemächlich der Fortschritt seinen Einzug, Schmuck wurde erzeugt, Bilder wurden gemalt und Statuen gemeißelt, Lieder und Erzählungen wurden gedichtet, die Kleider wurden schöner und die Tänze komplizierter. Es war ein friedliches Leben.

In anderen Gegenden folgten Jäger den Herden von Huftieren. Gazellen, Hirsche, Schafe und Ziegen grasten im Winter in der Ebene, im Sommer auf den Höhen. Die Jäger folgten ihnen auf ihren Wanderungen. In der Ebene fanden sie Datteln, an den Hängen Eicheln, Mandeln und Pistazien, auf den Höhen Äpfel und Birnen. Wilde Körner reiften in verschiedenen Höhen zu verschiedenen Jahreszeiten. Je bessere Jäger die Menschen wurden, um so gezielter konnten sie die Tiere auswählen, die sie sich zur Beute erkoren. Wenn sie hauptsächlich junge Böcke und Widder erlegten, und die weiblichen Tiere schonten, konnten die Herden sich besser vermehren. Die Jäger erlegten Bären, Wölfe und Füchse, damit sie den Herden keinen Schaden zufügten. Sie trieben die Herden in Gegenden, wo sie sie besser schützen konnten. Schafe und Ziegen waren weniger scheu als Gazellen und Hirsche, gewöhnten sich leichter an die ständige Gegenwart von Menschen. Also folgten die Jäger lieber ihnen. Und aus Jägern wurden Hirten. Das Leben der Hirtenvölker hatte noch viele Ähnlichkeiten mit dem früheren Leben der Jäger. Sie zogen noch immer im Jahreskreislauf durch ihre Weidegründe, und natürlich jagten sie auch Tiere, die sich nicht zähmen ließen. Da das Jagen immer mehr Männersache gewesen war, betrachteten die Männer die Herden als ihr Eigentum, und so galt bei den Hirten das Wort der männlichen Nin mehr als das der weiblichen.

Hirten und Bauern trafen natürlich bald aufeinander. Jeder hatte etwas, was der andere brauchen konnte. Die Hirten konnten von den Bauern Getreide und Brot bekommen, Töpfe aus Ton und andere Dinge. Die Bauern bekamen dafür Fleisch, Leder und wilde Früchte und Nüsse.

Aber eines Tages entdeckte ein Hirtenhäuptling, der auch ein großer Jäger war, dass man den Bauern auch wegnehmen konnte, was man wollte, ohne ihnen etwas dafür zu geben. Die Bauern, die die Jagd nicht mehr gewohnt waren, waren keine guten Kämpfer. Die Hirten waren dem alten Jägerleben noch viel näher. Für sie waren die Bauern einfach ein neues Wild. Und so gewöhnten sie sich an, die Bauern regelmäßig zu überfallen und auszurauben. Nicht, dass ihr glaubt, sie wären plötzlich schlechte Nin geworden. Sie blieben einfach bei ihrer gewohnten Erwerbsweise und wandten sie nur auf ein neues Wild an: auf den Bauern mit seinem Vieh und seinen Kornvorräten. Untereinander blieben sie freundlich und hilfsbereit wie eh und je, teilten die Beute miteinander, regelten gemeinsam ihre Angelegenheiten und waren lieb zu ihren Kindern. Sie waren Jäger, keine Krieger, und trotzdem brachten sie die wojna in die Welt.

Warum konnten sie das Bauerndorf immer wieder überfallen und ausplündern? Weil die Bauern eben mehr Nahrung herstellen konnten, als sie selber unbedingt brauchten. Wenn die Jäger die Scheunen nicht komplett ausplünderten, wenn sie nicht alle Schafe und Schweine mitnahmen, wenn sie die Felder nicht anzündeten, dann konnten die Bauern sich irgendwie bis zur nächsten Ernte durchbringen. Und dann war wieder etwas da, was die Jäger rauben konnten. Mit der Zeit schlossen die Jäger sogar Verträge mit den Bauern: wenn die Bauern ihnen freiwillig Korn und Fleisch gaben, man nannte das »Tribut«, dann würden sie sie nicht mehr überfallen, sondern stattdessen sogar beschützen. So wurden die Jäger zu Herrschern und Kriegern, und die Bauern wurden ihre Knechte.»Und jetzt passierte etwas Eigenartiges: Obwohl die Herrscher und Krieger ja nichts arbeiteten und außerdem einen ganz schönen Teil von dem, was die Bauern erzeugten, verprassten, blieb der Gemeinschaft als Ganzes ein größerer Überschuss als den Bauern früher, als sie noch frei waren. Die Bauern behielten jetzt weniger von dem, was sie erzeugten, und sie erzeugten mehr als früher. Früher, als sie frei über ihre Zeiteinteilung entscheiden konnten, hatten sie natürlich nicht das Äußerste geleistet, was ein Nin leisten kann, und sie hatten sich nicht mit dem Notwendigsten begnügt, was ein Nin braucht. Welcher freie Nin, der bei Sinnen ist, würde das tun? Aber genau dazu wurden sie jetzt von ihren Herrschern gezwungen: sie mussten das Äußerste leisten, und sich mit dem Notwendigsten begnügen.

Und weil diese Krieger-Bauerngemeinschaft einen größeren Überschuss erzeugte als jede andere Gemeinschaft, konnten hier mehr Bewässerungskanäle angelegt werden, mehr Werkzeuge geschmiedet werden, mehr Erfindungen gemacht werden als anderswo. Es konnten mehr Waffen und bessere Befestigungen gebaut werden, und es konnten auch mehr Tempel gebaut und mehr Priester durchgefüttert werden als anderswo. Mit einem Satz: eine solche Gemeinschaft war allen anderen überlegen, sie konnte sich schneller vermehren, und konnte andere Gemeinschaften unterwerfen und ihnen dieselbe Lebensweise aufzwingen.

Die früheren Jägerstämme hatten nie den Wunsch gehabt, ihr Jagdgebiet größer zu machen. Sie hätten es ja gar nicht ausnützen können. Die Bauern hatten auch nicht den Wunsch gehabt, ihr Land zu vermehren. Sie hätten es ja nicht bearbeiten können. Aber die neuen Herrscher hatten den Wunsch, immer mehr Dörfer zu unterwerfen. Denn je mehr Dörfer sie beherrschten, um so mehr Tribut konnten sie bekommen. Und je mehr Tribut sie bekamen, umso mehr konnten sie für Verbesserungen verwenden, die ihre Macht noch weiter stärken würden. Es gab ja auch bald an anderen Orten Krieger- und Bauerngemeinschaften, vor denen sie auf der Hut sein mussten. Und so wurde der Krieg zu einer ständigen Einrichtung, sogar zur Gewohnheit.

Fassen wir also die traurige Geschichte zusammen:

Dort, wo die Nin frei waren, verwendeten sie die Zeit, die ihnen die Arbeit übrig ließ, für Dinge, die das Leben schöner machen: fürs Musikmachen und Tanzen, fürs Geschichtenerzählen, für das Erzeugen von Schmuck, für das Verschönern der Kleider oder für die Bemalung ihrer Körper.

Dort, wo die Nin von Kriegern beherrscht wurden, wurden sie gezwungen, möglichst viel Nahrung herzustellen, damit andere wiederum Metalle gewinnen und Waffen herstellen, Schutzmauern und Burgen bauen konnten, lauter Dinge, die den Nin eigentlich nur Leid und Schmerz bringen. 

Eigenartigerweise gab es in den Ländern der Krieger aber auch schönere Kleider, kostbareren Schmuck, großartigere Statuen und auch bessere Musik. Wie ist das möglich? Weil es all diese schönen Dinge ja nur für die Herrscher gab. Sie holten die besten Künstler in ihre Paläste, gaben ihnen gutes Essen, schöne Häuser und Kleider, sodass sie den ganzen Tag nur ihre Künste verbessern konnten. Für die einfachen Nin aber gab es keine Künste.

Bei den freien Nin gab es in jedem Dorf Musiker und Schmuckhersteller, aber die waren gleichzeitig auch Bauern und hatten nicht soviel Zeit, ihre Kunst zu verfeinern.

Ein Kriegervolk war also meistens reicher, als ein Volk von freien Nin sein konnte. Aber nur deswegen, weil die meisten Nin dieses Volks in Armut und Unwissenheit lebten, und nur der Herrscher und seine Krieger über den Reichtum verfügten. Deswegen waren die Krieger aber stärker als die freien Nin, und konnten sie unterwerfen.

So wurde Yer eine Welt des Kampfes, des Raubes und der gegenseitigen Unterdrückung.

Nicht die Lebensweise setzte sich durch, die den meisten Nin den größten Spaß versprach, sondern die Lebensweise, die den größten Überschuss hervorbrachte und den schnellsten Fortschritt ermöglichte. 

Wohin das führte, soll noch kurz am Beispiel eines Gebietes abgehandelt werden, das Römisches Reich genannt wurde.

Die Kriegerfürsten kamen bald dahinter, dass sie noch reicher werden konnten, wenn sie die besiegten Feinde zu Sklaven machten. Ein Sklave hatte überhaupt keine Rechte mehr, er musste arbeiten wie ein Tier und wurde oft schlimmer als ein Tier gehalten. Freilich arbeitet ein Sklave nur dann, wenn er dazu gezwungen wird. Und freilich lebt ein Sklave, der nicht einmal so gut wie ein Tier gehalten wird, nicht sehr lange. Aber das macht ja nichts, man kann ja neue Kriege führen und neue Sklaven einfangen. In Rom kam es bald soweit, dass kein freier Römer mehr arbeiten wollte. Arbeit war Sklavensache. Das Römische Reich führte ständig Kriege, um immer mehr und mehr Sklaven zu bekommen, die die ganze Arbeit tun und das Reich ernähren mussten. Die freien Römer waren alle entweder Soldaten oder arbeitslose Herumlungerer, bis auf die wenigen, die Beamte des Kaisers oder Grund- und Sklavenbesitzer waren. Das Römische Reich führte ständig Kriege und dehnte sich immer mehr aus. Es beherrschte die Welt. Aber eines Tages brach es zusammen. Es war so groß geworden, dass die römischen Soldaten nicht mehr ausreichten, um die weiten Grenzen zu verteidigen und gleichzeitig im ganzen Land die Sklaven zu bewachen. Es kam der Punkt, wo der Krieg das Land nicht mehr stärker machte, sondern es so schwach machte, dass es zugrunde ging.

Andere Reiche sind an seine Stelle getreten, andere Formen des Zusammenlebens entstanden. Aber eines blieb gleich: Nicht die Formen des Zusammenlebens setzten sich durch, die für die Menschen am angenehmsten waren, sondern die, die den meisten Überschuss brachten. Immer konnten diejenigen Reiche oder Staaten, die den größeren Überschuss erzielten, die anderen unterwerfen und ihnen ihre Lebensform aufzwingen. Daran hat sich nichts geändert, und darum ist auch wojna bis heute aus dem Leben der Nin nicht verschwunden. Bis heute verwenden sie den größten Teil ihrer Überschüsse, um neue, noch bessere Waffen herzustellen. Heute haben sie Waffen, mit denen sie das ganze Leben auf ihrem Planeten auslöschen können. Darum sind sie zu einer Gefahr für den ganzen Planeten Yer geworden.

Erst, wenn die Nin begreifen, dass wojna und Unterdrückung nur scheinbaren Reichtum schaffen, dann können sie eine neue Art des Zusammenlebens finden. Dazu müssen sie aber begreifen, dass wahrer Reichtum nicht darin besteht, möglichst viele Dinge zu haben, mit denen man wieder möglichst viele Dinge produzieren kann und so weiter. Der wahre Reichtum kann für die Bewohner dieses Planeten wohl auch nur darin bestehen, dass möglichst viele Nin möglichst viel Zeit haben, um Musik zu machen, zu tanzen, miteinander zu plaudern, zu spielen, zu dichten, zu malen, zu erzählen, Sport zu treiben, mit einem Wort, das Leben zu verschönern. Sonst kann es ihnen passieren, dass wojna ihren ganzen Planeten zerstört, wie er einst das Römische Weltreich zerstört hat.

Auf jeden Fall ist es ganz und gar ausgeschlossen - so scheint es jedenfalls unserem Forscherteam - die Nin in die Gemeinschaft der Vereinten Sonnensysteme aufzunehmen, solange sie die einfachsten Grundregeln des Zusammenlebens von Vielen nicht verstanden haben. 


Kommentar des Autors


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